Der französische Künstler Gustave Courbet hat die Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich gehörig aufgemischt. Geboren wurde er in Ornans in der Franche-Comté. Die Stadt besitzt ein Museum über ihn, das soeben baulich überholt worden ist. Auch das Atelier des Künstlers soll zum ersten Mal zugänglich gemacht werden. Das bedeutet, dass die Provinzstadt Ornans sich zu einem wichtigen Courbet-Zentrum entwickelt.
Von Aurel Schmidt
Er wird uns nicht entkommen, der Maler Gustav Courbet (18919-1877). Wer sich mit der Kunst des 19. Jahrhundert befasst, kommt an ihm nicht vorbei. Wie kein anderer hat er den Konventionen der herrschenden akademischen Kunst seiner Zeit einen kräftigen Tritt verpasse, um es in der derben Sprache seiner Kunst auszudrücken, und die Türe der neuen Zeit aufgestossen.
"Le puits noir" in der Nähe von Ornans,
das "Atelier des Künstlers" im wilden romantischen Tal der Brême,
wo Gustave Courbeta oft gemalt hat.
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Courbets Atelier von1860 (Aussenansicht), das zur Zeit
instandgestellt wird und im Oktober für Besuchende geöffnet werden soll.
Es wird dann einen Ausstrahlungsort für Courbets Werk bilden.
Ornans hebt seinen berühmten Sohn auf ein Piedestal.
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Eine der beiden von Courbets Wandmalereien in dessen Atelier
in Ornans mitten im Chaos der Bauarbeiten. Nach Max Claudet,
Bildhauer und Freund Courbets, ist die Mündung des Flusses Escaut
ins Meer zu sehen. Beide Wandgemälde werden zur Zeit restauriert.
Das untere Viertel der Aufnahmezeigt Gerüste für die laufenden
Bauarbeiten im Inneren des Ateliers.
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Da Courbet ein hervorragender Selbstvermarkter war, der seinPublikum gut kannte und genau für es produzierte, ist es nicht unproblematisch, sein Werk in Stile einzuteilen. Für ein bestimmtes Segment der Bourgeoise malte er Jagdszenen, aber dann mit Jägern, die im Schnee irren. Für einen anderen Teil, der gern etwas Erotisches ins Schlafzimmer hängte, waren es badende Nymphen und Nixen, die sich an einem Waldsee erfrischen, bevor sie von Pan oder einem in menschliche Gestalt verwandelten Gott, der auf der Suche nach einem kurzweiligen Abenteuer unterwegs ist, beim harmlosen Spiel überrascht werden. Für die Mythologie bot es kein Problem, einen versteckten Zusammenhang herzustellen.
Die Franche-Comté und
die Landschaftsmalerei
Als der Widerstand gegen Courbets Stil zunahm, blieben die Aufnahmen zum Salon, den jährlichen grossen Kunstausstellung in Paris, mehr und mehr aus. Aus Protest gegen die Ablehnung liess er 1855 ein einfaches Gebäude errichten, das er „Pavillon du réalisme“ nannte und in dem er eine persönliche Ausstellung einrichtete. Durch den Arzt, Sammler und Förderer Alfred Bryas aus Montpellier war er in die Lage gekommen, sich freier auf seine Kunstvorstellungen einzulassen.
Courbet wird heute kaum noch als“sozialistische“ Maler angesehen. Er blieb mit den linken Ideen in Frankreich in Verbindung, etwa mit dem französischen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon, aber als Abstammender der französischen ländlichen Grossbourgeosie scheint er andere Interessen gehabt zu haben. Wenn es sein sollte, malte er auch prächtige Blumensträusse für seine Kundschaft, aber genau genommen war Courbet vor allem eines: Landschaftsmaler. Etwa zwei Drittel seines Werks gehören in diese Kategorie.
Landschaftsmalerei hatte für ihn als ersten Zweck, seine Verbundenheit mit dem Land auszudrücken, von dem er abstammte. Er wusste, was das bedeutete, und erlegte Wert darauf, dass es so zur Kenntnis genommen wurde. „Um sein Land zu malen, muss man es kennen. Ich kenne mein Land, ich male es“, vertraute er George Riat, seinem ersten Biographen, an, und sein Stolz und seine Verbundenheit mit dem Land, das er meinte, der Franche-Comté, ist in den Worten unüberhörbar. Der alte Bärbeisser ist milder geworden, sein Selbstbewusstsein grösser. Eine Fotografie von Etienne Carjat zeigt ihn in der Blüte seines Lebens, mit einem sanften, fast kindlichen Ausdruck im Gesicht. War das der Skandalmaler von einst? Nein, er ist der Gleiche geblieben, aber er wusste nun, was er erreicht hatte und noch erreichen konnte. Es sollte bald anders kommen.
Die Eiche von Flagey
als Selbstporträt
Es ist gesagt worden, Courbets Landschaften seien Selbstporträts von ihm. Das kann man beim Betrachten von Courbets Oeuvre so sagen. In in genauerer Kenntnis seiner Biografie lassen sich weitergehende Schlüsse ziehen. Im „Musée Courbet“ in Ornans im Tal der Loue, dem Geburtsort des Künstlers, hängt das Werk „La Chêne de Flagey“, eine der stärksten Kreationen des Künstlers. Das Museum kann sich etwas darauf zugute halten, es neben etwa 40 anderen in seiner Sammlung zu führen. In Flagey war ein Teil der Familie ansässig.
Das Werk wurde 1864 gemalt. Courbets Schwester Juliette, die der Künstler bei seinem Tod als Universalerbin eingesetzt hatte, verkaufte es 1880 an einen Bankier in den USA, nach dessen Tod es bis 1987 an die Academy of Fine Arts in Philadelphia gelangte. Über Sotheby's und einen japanischen Sammler konnte es das Museum in Ornans schliesslich 2012 dank verschiedener Zuwendungen erwerben.
Die Eiche breitet ihre Äste tiefhängend nach links und rechts sowie hoch über den oberen Bildrand hinaus über fast die gesamte Bildfläche aus. Die breite Stamm wurzeln fest und standhaft in der Erde. Die Botschaft wird auf der Stelle verständlich: Hier stehe ich, hier bin ich zu Hause, ein Spross dieser Erde, ich, der Künstler Gustave Courbet.
Während der Belagerung von Paris durch deutsche Truppen im Deutsch-Französischen Krieg 1870-71 schloss sich Courbet der Commune und war zuständig für die Rettung des nationalen Kulturerbes. Nach der Niederschlagung des Volksaufstands beschuldigte die bürgerliche Regierung Courbet, für die Zerstörung der Säule auf der Place Vendôme verantwortlich zu sein, und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafen sechs Monaten. Als Courbet frei kam, war er ein gebrochener Mann, und als die Regierung auch noch sein Vermögen konfiszierte, um die Reparationskosten zu begleichen, floh Courbet in die Schweiz. Er starb am 31. Dezember 1877 in La Tour-de-Peilz. Was er in den letzten Lebensjahren malte, waren Forellen an der Angelschnur, verdorbene Äpfel und der Genfersee als Hölleneingang.
Aufgabe der Museen ist es,
„den Blick zu reaktivieren“
In den erfolgreichen Jahren war Courbet ein wohlhabender Mann gewesen. Wenn er zu Besuch nach Ornans kam, lud er seine Freunde zu Jagdpartien und grossen Festen ein, aber weiterhin malen wollte er trotzdem. Bisher verwendete er für sein Atelier Räumlichkeiten im Haus seiner Grosseltern in einer schmalen Liegenschaft an der heutigen Place Courbet. Nur war es viel zu klein für die immer grandioser werdenden künstlerischen Absichten Courbets. An diesem Ort war 1849-50 schon „Un Enterrement à Ornans“ mit den Massen 315 x 669 cm entstanden. Man fragt sich, wie Courbet das unter den beengenden Räumlichkeiten geschafft hat. Als die Verhältnisse endgültig unhaltbar geworden waren, baute der Meister an der Strasse nach Besançon ein neues Atelier für sich und bezog es 1860.
In Ornans ist neuestens eine Art Courbet-Fieber ausgebrochen. Lange Zeit gab es dort ein bescheidenes Provinzmuseum, das schon als Museum eines Museums hätte bestehen konnte. 2011 erfolgte eine beträchtliche Erweiterung und Modernisierung, um die steigende Besucherzahl aufzunehmen (heute etwa 70'000 jährlich) und die Sammlung auszubauen.
Jetzt, nur zehn Jahre später, war es abermals erforderlich geworden, das Museum an die Anforderungen der Zeit anzupassen. Vieles ist in Bewegung gekommen, grosse Pläne sind in Ausführung. Nicht zu den geringsten gehört die Einrichtung einer neuen Lichtregie, um die Farben der ausgestellten Werke besser zur Geltung bringen. Erst seit Anfang März dieses Jahres wird das Courbet-Haus vom jungen Benjamin Foudral als Konservator-Direktor geleitet. In Courbet sieht er eine „cohérence libertaire“ am Werk, eine unbedingt freiheitliche bis anarchistische Haltung, eventuell bis zum Eklat. Museen hätten den Auftrag, meinter, den Blick zu reaktivieren“. Damit bestätigt er, wie sehr die Präsentation zu einem entscheidenden Faktor im Ausstellungswesen geworden ist, hier und überall.
Foudral hat über den belgischen Symbolisten Léon Frédéric (1856-1940) dissertiert. Aus der Welt des süsslichen Symbolismus in die Welt des harten Realismus eines Courbets war es nur ein kurzer Schritt für die Menschheit, aber ein riesengrosser für einen Menschen, wenn er Foudral heisst. Wie er damit fertig werden will, wird er erst noch zeigen müssen. Aber wir denken, dass ihm dafür in Ornans in den kommenden Jahren genug Zeit zur Verfügung steht und er diese Herausforderung mit Bravour meistern wird.
Ein Zentrum für die Kunst
von Gustave Courbet
Das in Stand gestellte Museum wird am 1. Juli wieder eröffnet. Gleichentags wird auch die diesjährigen Sommerausstellung „Courbet/Picasso. Revolutions!“ zugänglich gemacht. Für beide Künstler war der weibliche Körper ein dominierendes Thema – man denke an das Werk „La Naissance du monde“ und seine aufgeregte Faktizität. Die Ausstellung wird zeigen und versuchen zu ergründen, wie die beiden prominenten Künstler in ihrer Verschiedenheit das Thema aufgegriffen haben.
Einen Moment bitte, wir sind noch nicht zu Ende. Das Fieber wird noch eine Weile anhalten. Es ist unübersehbar, wie das Museum und die allgegenwärtige Marke “Courbet“ den Ort merklich aufgewertet haben. Zwei grössere Hotels, mehrere kleinere, verschiedene gîtes (private Unterkünfte), ausserdem zahlreiche neue Restaurants tragen zur Konvivialität von Ornans bei. Sogar acht Wanderwege (von vier bis 13 Kilometer Länge) wurden angelegt, um Courbetland zu erkunden, zu Fuss oder Velo natürlich.
Und noch etwas! Das Atelier, das Courbet 1860 errichten liess, existiert noch, aber befand sich bis vor Kurzem in einem delabrierten Zustand. Unter anderem war zeitweise eine Giesserei darin untergebracht, zuletzt eine Weinkellerei. In jüngerer Zeit stand es lange Zeit leere und verlassen da. Schon vor Jahren hatte das Département du Doubs den Gebäudekomplex mit der Absicht erworben, ihn instandzustellen. Man glaubt es kaum, aber das ist es, was jetzt geschieht. Es wird bald soweit sein.
Der Komplex bestand zunächst aus dem Atelier und einem angeschlossenen Wohnhaus (der „Villa“). Nach Courbets Tod liess die Schwester den Bau erweitern („Extension Juliette“) und zeigte darin Werke ihres Bruders. Jetzt hat der Conseil du Doubs in der „Extension Juliette“ ein Auditorium dekretiert, während die „Villa“ für die Verwaltung verwendet werden soll sowie für sämtliche Aktivitäten des neu gegründeten sogenannten „Pôle Courbet“, der sich mit Forschung, Dokumentation, medialer Verbreitung, Konservierung des Werks des Meisters befasst. Auch Künstler-Ateliers sind vorgesehen. Als kleine Sensation kann berichtet werden, dass im Verlauf der Bauarbeiten zwei Wandmalereien von der Hand Courbets entdeckt und restauriert wurden.
Noch ein allerletztes. Die Bauarbeiten für das Areal, auf dem das Atelier steht, sind noch im Gang. An eine Eröffnung war zuerst gleichzeitig mit der neuen Präsentation des Museums gedacht worden, doch durch den Virus sind Verzögerungen entstanden. Jetzt ist die Eröffnung für Mitte Oktober vorgesehen. Soviel Geduld werden wir natürlich aufbringen und neugierig auf den grossen Tag warten. Ornans wird dann ein bedeutendes Centre Courbet besitzen und beitragen, dass der Name des Künstlers in die Weite ausstrahlen kann.
°Musée Courbet, Ornans: Wiedereröffnung 1. Juli, ebenso Beginn der Ausstellung „Courbet/Picasso. Révolutions!“ (Dauer bis17. Oktober).
° Die Eröffnung des zugänglich gemachten Ateliers von Courbet und der dazu gehörenden Nebengebäude ist für Mitte Oktober vorgesehen. Nicht ausgeschlossen ist, dass der Besuch wegen der Verletzlichkeit der Farben der zwei entdeckten Wandmalereien nur auf Voranmeldung erfolgen kann.
° Weitere Informationen: www.musée-courbet.fr