2010 setzten die amerikanischen Wähler und Wählerinnen aus Protest gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise im Repräsentantenhaus eine republikanische Mehrheit ein. Zu deren ersten Handlungen gehörte es, die Bankenaufsicht zu deregulieren, deren Aufgabe es doch gerade sein sollte, die krummen Geschäfte der Wall Street, die das Schlamassel veruzrsacht hatten, zu verhindern.

Diese Episode aus der Geschichte des Landes der unglaublichen Möglichkeiten ist schwer zu verstehen. Aufgenommen wird sie vom amerikanischen Journalisten und Autor Thomas Frank in sein Buch „Arme Milliardäre“. Wie eine so verdrehte Einstellung möglich ist, weiss er selbst auch nicht. „Sagen Sie‘s mir, denn ich verstehe es nicht“, schreibt er mit ironischer Fassungslosigkeit.

Die Lektüre zwingt die Leserschaft zur Annahme, dass die von der Finanzkrise betroffenen Betrogenen am Ende ihre Betrüger zu ihren Führern gewählt haben. Ohne eine gehörige Portion Sarkasmus lässt sich Buch kaum lesen.

Die amerikanische geistige Desorientierung ist für Frank die normal geltende geistige Grundhaltung der Mehrheit der Amerikaner. In einem Beitrag in der FAZ hatte er schon auf die Frage, warum es in den freien USA keinen Aufschrei gegen die flächendeckende Überwachung durch die NSA gegeben habe, geantwortet, dass die Idee der Opposition so gut wie unbekannt ist. Was die Wortführer à la Glenn Beck und Rush Limbaugh verkünden, wird unbesehen, also kritiklos übernommen und geglaubt. Nur keine eigene, unabhängige Meinung haben! Freie Menschen tun das nicht! Müsste man fast meinen... In diesem Sinn sollten die USA als Sekte angesehen werden. Nicht einmal die schlimmsten Irrtümer, meint Frank, liessen sich unter diesen Umständen durch nachweisliche Fehler korrigieren.

Zum Diskurs der US-Republikaner, dessen Tonfall Frank gelegentlich als „bolschewistisch“ bezeichnet, gehören die Schimpftiraden gegen Big Business und Bailouts, und dies, ohne ein Wort über den Einfluss der Wall Street auf Washington zu verlieren. (Man sehe sich zu dem Thema den Film ”Inside Job“ von Charles Ferguson an oder denke daran, dass die amerikanischen Waffenlieferungen an das ägyptische Militär genau besehen als direkte staatliche Subvention an die amerikanische Rüstungsindustrie gehen.) „Washington“ ist das rote Tuch für die „revitalisierte Recht“, und die Gesundheitsreform war ein Versuch von Big Government, den Sozialismus in Amerika einzuführen.

Vieles in Amerika ist in Europa unverständlich – wie umgekehrt. Franks Buch kann helfen, dem konservativen, argumentativ eingeschränkten und schematisierten Amerika besser auf die Schliche zu kommen. Seinen kritischen Geist hat Frank bei seinem Vorhaben nicht aufgegeben. Die Verfehlungen Obamas kommen ebenso (aber anders als von den Konservativen und Republikanern) zur Sprache, wie vor dem Marktidealismus der Neoliberalen gewarnt wird, der genau so ideologisch durchzogen ist wie das Heil, das die Linken im Sowjetstaat suchten, als es ihn noch gab.