Was ist Realität? Eine Frage, um sich die Zähne auszubeissen. Aber nicht, wenn man Mark von Schlegell heisst. In seinem Buch mit dem Titel „Realometer“ unternimmt der in Köln lebende amerikanische Schriftsteller den Versuch, Realität verständlich zu machen.

Ohne es zu erreichen. Aber das ist vielleicht ein Teil seiner ironischen Methode. Denn wie soll man etwas erklären, das nicht oder kaum oder gar nicht erklärbar ist?

Was heisst Realometer? Der Ausdruck kommt in Henry David Thoreaus Erlebnisbuch „Walden“ (1854 veröffentlicht) vor und bezeichnet ein Mass oder Messgerät, um Wirklichkeit beziehungsweise Nicht-Wirklichkeit zu definieren. „Der Realometer schneidet durch Zeit und Text und Geschichte.“ Man könnte sagen: Er ist eine Dekonstruktionsmaschine.

Von Schlegell kritisiert den Objektivismus der Aufklärung. Die Wirklichkeit ist für ihn nicht unbedingt Täuschung, sondern vor allem Konstruktion – Fiktion. Was er selber betreibt, ist fictocriticism, eine von Jacques Derrida angeregte hybride Methode, die die Kategorien überspringt, um eine neue Form des Schreibens zu praktizieren.

Er setzt Thoreau, Edgar Allen Poe, die grosse amerikanische Dichterin Emily Dickinson, Herman Melville, die Science-Fiction-Autorin James K. Tiptree Jr. zu einem Netz zusammen, durch das man surft und von einem Punkt (Standpunkt) zum anderen kommt.

Am Schluss lässt sich vielleicht sagen, dass Wirklich/Unwirklichkeit ein Ensemble von Regeln, Verfahren, Attraktionen, Resonanzen, Konnektionen, Übergängen, Transgressionen ist: ein Dispositiv, eine Karte. So muss man auch das Buch lesen. Die Sätze darin ziehen immer weitere Kreise. Am Ende ist alles noch unklarer als am Anfang, aber die Anregungen sind enorm. Man legt das Buch etwas fragend beiseite, um es gleich wieder hervorzuholen und weiterzulesen.

Eigentlich wird niemand das Buch je zu Ende lesen, es hat kein Ende, es hört nicht auf...

Die 78 Seiten sind von einer unglaublichen Dichte. Alles ist gesagt. Aber immer neue Fragen stellen sich ein, neue Assoziationen tauchen auf. Bücher sind Wirkungsauslöser. Sie sind Zeichen, die gesetzt werden. Auch dieses.

Mark von Schlegell: Realometer. Aus dem Amerikanischen von Andreas Reihse und Anna-Sophie Springer. Merve Verlag Berlin.