Von Joseph Conrad habe ich „Das Herz der Finsternis“ und „Almayers Wahn“ zusammen etwa fünf Mal gelesen, ohne dass ich mich noch an irgendwas erinnern könnte. Ich weiss nicht warum. „In Patagonien“ von Bruce Chatwin habe ich zwei Mal gelesen, einmal vor einer Reise in die Gegend, einmal danach. Es ist mir heute noch gegenwärtig. Natürlich nur deshalb, weil mir vieles bei Chatwin vertraut ist. Aber das ist nicht der einzige Grund.

Patagonien ist ein Mythos, den Chatwin beschreibt, wenn es sich nicht umgekehrt verhält und Chatwin mit seinem Buch zur Entstehung und Verbreitung dieses Mythos Entscheidendes beigetragen hat. Die Weite das Landesinneren, die rauhe Küste mit Kap Hoorn, das Geheimnisvolle (wie sie Namen wie Timbuktu, Dhaulagiri oder Samarkand hervorrufen) – das sind heimliche Verlockungen.

Dass Patagonien auch eine literarische Landschaft ist, macht das Buch klar, das die deutsche Literaturwissenschafterin Gabriele Eschweiler herausgegeben hat („Geschichten vom Ende der Welt“, edition 8, Zürich, www.edition 8.ch). Sie hat darin literarische Zeugnisse gesammelt und versammelt, die Patagonien zum Thema haben, von alten Reiseberichten über Herman Melville bis Francisco Coloane. Patagonien und Feuerland sind „literarisch geworden“, schreibt sie, „und das lange vor Chatwin“. Die Auswahl macht es deutlich.

Unter den Autoren vertreten ist William H. Hudson, der Autor des Romans „Müssige Tage in Patagonien“. Hudson war argentinisch-britischer Schriftsteller (1841-1922) und Ornithologe beziehungsweise „field naturalist“, also Naturforscher. Sein Patagonienbuch ist ein Beobachtungsbuch. Es gibt wieder, was Hudson in der Natur und unter den Menschen gesehen und gehört hat. Ein aufmerksames, langsames, wunderbar still fliessendes Buch.

„In Patagonien halten die Eintönigkeit der Ebenen oder die Ausdehnung niedriger Hügel das allenthalben herrschende ununterbrochene Grau und das Fehlen von Tiergestalten und Dingen, die neu für das Auge sind, den Geist offen und frei, so dass er einen Eindruck von der sichtbaren Natur als Ganzes empfangen kann.“ Das ist das patagonische Geheimnis. Das Geheimnis jeder Einöde und Wüstenlandschaft.

Wahrscheinlich sitzt der Verlag auf dem Buch – aber wenn, dann nur, weil Lesen heute eine beinahe alchemistische Kunst ist, die nur noch ein paar Auserwählte beherrschen beziehungsweise verstehen. Und die, die haben genug zu tun mit dem Lesen.

Gabriele Eschweiler; Geschichten vom Ende der Welt. edition 8. www.edition8.ch

William Henry Hudson: Müssige Tage in Patagonien. Übersetzt von Rainer G. Schmidt. Achilla Presse. www.achilla-presse.de