In seinen „Notizen eines Weltbürgers“ schreibt der polnische Reporter und Schriftsteller Ryszard Kapuscinski sinngemäss, dass jede Aussage, die wir heute machen, morgen überholt und jede ausserdem fragwürdig ist, weil es keinen objektiven, für alle gleichermassen verbindlichen Standpunkt gibt. Von jedem Punkt aus, den wir einnehmen, sieht die Welt anders aus – und es gibt viele solcher Punkte.
Das ist eine Aussagen, die sich auf überraschende Weise mit dem Denken von Michel de Montaigne (1533-1592) deckt.
Der grosse französische Essayist stand unter dem Eindruck der Tatsache, dass kurz vor seiner Geburt eine neue Welt entdeckt worden war (der amerikanische Kontinent), die alle bis dahin gültigen Masstäbe durcheinander gebracht hatte. Jede Aussage musste relativiert werden. „Die Barbaren setzen uns nicht stärker in Verwunderung, als wir sie.“ Auch hier wieder die Umkehrung, die Gegenseitigkeit: Wir setzen die Barbaren nicht stärker in Verwunderung als sie uns. (Barbaren sind im etymologischen Sinn bekanntlich Menschen, die eine andere, fremde, unverständliche Sprache sprechen.)
Er wusste, dass er von nicht „das Ganze“ sehen könne. Was er sah, was möglich ist zu sehen, ist immer nur die eigene, beschränkte Perspektive.