Aus dem von Carl Albert Loosli angelegten Hodler-Archiv präsentiert das Kunstmuseum Basel in einer Kabinettausstellung einen Ausschnitt (bis 14. Oktober). Das Besondere daran liegt in der Tatsache, dass es zum ersten Mal überhaupt in der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wenn auch nur in Form einiger weniger Exponate. Um das Archiv herum hat sich seit Langem eine Geschichte gebildet, die wie folgt geht:

1908 wurde der Maler Ferdinand Hodler (1853-1918, sein 100. Todestag wurde dieses Jahr begangen) zum Präsidenten der GSMBA (Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten, heute Visarte) gewählt und bestimmte als erstes den vehement kritischen Schriftsteller Carl Albert Loosli (1877-1959) als Zentralsekretär. Die beiden hatten sich 1897 im Kornhausskeller in Bern kennengelernt. Loosli wollte einen Artikel über den sogenannten Freskenstreit schreiben, ein Wandgemälde Hodlers im Landesmuseum mit dem Motiv des Rückzugs von Marignano, das grosses Aufsehen erregte und den grössten bis dahin in der Schweiz ausgetragenen Kunststreit ausgelöst hatte. Dem grossen Publikum entsprach das Werk zu wenig dem historischen Pathos der Zeit und musste „so gut wie eine Kriegserklärung an das landesübliche Pseudoideal“, wie Loosli später kommentierte, angesehen werden.

Looslis Interventionen für die Kunst

Loosli war sein Leben lang entschlossen, den Verkannten, Verfemten und Übergangenen zu Seite zu stehen, auch Hodler im Freskenstreit. Es scheint jedoch, dass der ältere Hodler, der auf dem Höhepunkt seines Schaffens, aber nicht unbedingt seiner Anerkennung stand, den viel jüngeren Loosli zur Besonnenheit ermahnt hatte. Kampf- und Weggefährten wurden beide im Verlauf der Zeit trotzdem.

Looslis Entschluss war es auch, alles, was er über Hodler sammeln konnte, in einem Archiv anzulegen. Es waren Briefe und Postkaten, Zeitungsausschnitte, Fotografien, Broschüren, schriftliche Zusammenfassungen von Gesprächen Looslis mit Hodler und andere Unterlagen für eine später in Aussicht genommene kunstwissenschaftliche Auswertung durch Loosli. Viele persönliche Aufzeichnungen waren Geschenke Hodlers an Loosli. Alles wurde penibel auf Karteikarten registriert.

1919 veröffentlichte Loosli ein Mappenwerk (vier Mappen mit 276 Schwarzweiss-Abbildungen und 28 Farbtafeln sowie ein dazu gehörendes Buch). Von 1921 bis 1924 folgte der Werkkatalog: „Ferdinand Hodler. Leben, Werk und Nachlass“ in vier Bänden mit 2337 Werknummern sowie unentbehrlichen Dokumenten zu Hodlers Werk.

Loosli hatte Grosses im Sinn, aber es gab für ihn nur Enttäuschungen. Seit Erscheinen des Werkkatalogs waren über 600 Nachträge hinzugekommen. 1941 wandte Loosli sich für die Auswertung des Archivs und für weitere Studien mit einem Gesuch um Unterstützung an die Stiftung Pro Helvetia. Die jedoch lehnte süffisant ab: „Weil wir es nicht, wie bei Ihrem bisherigen Werk und Ihrem Hodler-Archiv, mit einem sicher übersehbaren Werk zu tun haben.“ Loosli war kein akademisch ausgebildeter Kunstwissenschafter – das war wohl der heimliche, also wahre Grund der Ablehnung.

Umso grösser oder vielleicht gieriger war dagegen das Interesse der Pro Helvetia an Looslis Archiv. Die Stiftung anerbot sich, als Vermittler zu fungieren, damit das Archiv im Land bliebe, „wobei wohl ein Ankauf durch die Landesbibliothek im Vordergrund stehen würde“.

Ein „versunkener Kontinent“ wird zugänglich gemacht

Loosli winkte mit sarkastischen Worten ab und verfügte, dass bei seinem Tod das Archiv fünfzig Jahre versiegelt bleiben sollte, zugänglich für niemand. Unterdessen setzte er seinen Kampf für die Rechte der Künstler (zum Beispiel die Verbesserung des Urheberrechts) sowie gegen die „platteste Mittelmässigkeit“, die sich als Volksherrschaft maskiere, „nicht nur auf kulturellem Gebiete!“, hartnäckig fort. Was damals galt, trifft heute kaum weniger zu, wie man nachtragen könnte. Wenn gespart werden soll, eignet sich die Kultur stets als erstes und am besten dazu.

Fünf Jahre vor Ablauf der gesetzten Frist, 2004, wurde das Archiv dann aber, weil sich die Verhältnisse inzwischen geändert hatten, vorzeitig geöffnet und für die Ausarbeitung des Catalogue raisonné von Hodlers Werken durch das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK) herangezogen. Mit 1711 Positionen umfasst der Katalog, der von 2008 bis 2018 erschien, das gesamte bis zum Erscheinungsdatum bekannte malerische Werk Hodlers.

Sachkundige und an Hodler Interessierte können auf der Homepage des SIK heute darin mit Gewinn surfen. Das SIK bewahrt auch Looslis Archiv als Depositum des Musée d'art et d'histoire in Neuchâtel auf. Die vorzeitige Öffnung war ein grosser Gewinn, wenn man zum Beispiel daran denkt, dass 90 Prozent aller bekannten Briefe Hodlers aus Loosli Archiv herrühren (der Rest ist verlorengegangen). Mehr zum Thema kann in Band 7 („Hodlers Welt“, 2008) der von Fredi Lerch und Erwin Marti herausgegebenen grossen Loosli-Werkausgabe sowie in einer Broschüre des Kunstmuseums nachgelesen werden. Zahlreiche schriftliche Äusserungen Hodlers, etwa über den sogenannten Parallelismus, sind schon aus Looslis Werkverzeichnis von 1921-24 bekannt.

Die Ausstellung in Basel mag tatsächlich bescheiden ausgefallen und vielleicht auch gar nicht anders konzipiert worden sein – das Archiv selbst stellt sich, wie Lerch und Marti bemerken, als „unübersehbarer Wegweiser (heraus), der auf einen weitgehend versunkenen Kontinent verweist: auf Hodlers Welt“. Und das ist ein Bonus, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Es musste an dieser Stelle unbedingt darauf hingewiesen werden.