Jede Form von Kommunikation ist für Missverständnisse, Widersprüche, Störungen anfällig. Fakt oder Fake? Das ist schwer zu unterscheiden, wenn die heimlichen Maschinationen nicht durchschaut werden. Man hält sich an den Wortlaut, schon ist die Falle zu.

Von Aurel Schmidt

Begriffe wie Geld, Glauben, Gewalt oder wie Ausnahmezustand, Finanzmarkt, Nachhaltigkeit und andere sind offen für vielerlei. Missdeutungen gehen oft aus einer obskuren Absicht hervor, oft sind sie das Ergebnis ungenauer Definition und fallen einem aus heiterem Himmel auf den Kopf, wie wenn man Klima und Wetter verwechselt. Sobald ein Satz ausgesprochen ist, leuchtet seine Fragwürdigkeit wie eine rote Lampe auf. Da hilft es wenig, Wörter wie Wechselgeld zu (ver)handeln. Wörter haben eine situative Bedeutung, sie brauchen einen genauen Kontext. Jede Aussage ist eine Behauptung und zuletzt eine Provokation, sozusagen eine Verstimmung. Man höre sich um. Aber zu schweigen kann auch nicht die Lösung sein.

Wir reden über das Gedränge in den Vorortszügen zur Feierabendzeit, über den Stau auf den Strassen, aber kein Mensch zieht in Betracht, dass immer mehr Menschen auf dem Planeten leben und der disponible Raum beschränkt ist. Erst recht, wenn die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen ansteigen dürfte. Das ist Prognostik, neutral, unparteiisch. Doch wir reden eher abschweifend über etwas anderes und verstehen nicht, dass wir nichts begreifen.

Es stimmt natürlich schon: Gute (gut gemeinte) Gründe lassen sich immer finden, Widersprüche treten überall auf und alte Probleme werden meistens durch neue gelöst, zum Beispiel alte Schulden beglichen durch neue, die gemacht werden. Eigentlich leben wir ganz gut mit den Widersprüchen, nur schon deshalb, weil in einer Sackgasse endet, wer immer logisch vorgeht und konsequent handelt wie die Idealisten und Puristen. Manchmal muss man Fehler begehen (begehen dürfen), sich irren, Kapriolen schlagen. "Der Fortschritt geht geradeaus, doch die krummen, abschweifenden Wege sind die Wege des Genius", sagte der englische Dichter William Blake in seinen irritierenden genialen "Sprichwörtern der Hölle".

Richtiges Haushalten

Über Meinungen, Geschmack, Sinn kann man streiten, soviel man will, über Gravitation oder Mathematik jedoch ist kein Erkenntnisgewinn damit verbunden. Es ist, wie es ist. Wenn der Verkehrsinfarkt droht, muss die sogenannte Transport- und Verkehrsfreiheit in Frage stellen. Flyboards und Drohnentaxis werden keine Abhilfe schaffen, sondern nur die Enge, die auf der Erde schon herrscht, in die Höhe verlagern, so wie in den Science-Fiction-Filmen futuristische Fahrzeuge durch enge Häuserschluchten kurven.

Wenn das ökologische Desaster droht, wird Abhilfe nicht durch mehr Verbrauch, Verkehr, Vermehrung, Verschleiss, durch Steigerung von Rohstoffabbau, Produktion, Umsatz, Betriebsamkeit erreicht. Das ist wie Öl ins Feuer giessen. Falls überhaupt, wird die Lösung in klugem, ökologischem Masshalten bestehen (Ökologie heisst ja genau genommen richtig haushalten). Noch mehr Produktion, Aufwand, Aufschwung, Expansion, Aktionismus ist weder für den Menschen und sein Wohlergehen noch für den Planeten und seine Regeneration eine Perspektive. War denn nicht eben erst  Earth Overshoot Day?

Mass und Selbstdisziplin sind eine uralte Klugheitslehre. Gibt es kein Mittel, um den besoffenen Hyperliberalismus zu unterlaufen? Vielleicht könnte es darin bestehen, weniger zu arbeiten, zu verdienen und zu konsumieren. Viele Menschen müssen schon heute damit zurechtkommen, aber immerhin wäre die damit verbundene Beschränkung durch mehr frei verfügbare kreative Lebenszeit bald kompensiert. Das hat dann nichts mit Tugend und Verzicht zu tun, sondern mit einem Akt der Zurückforderung der individuellen Autonomie.

Leider lässt sich diese schöne Idee mit der vorherrschenden Auffassung von Wohlstand, Wachstum, Fortschritt, Zukunft und anderen Erregungsangeboten kaum koordinieren. In Frankreich hat Präsident Macron die Maxime "Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen" (um was mit dem Mehrverdienst zu tun?) ausgegeben und zugleich für die zweite Hälfte seiner Amtszeit oberste Priorität für ökologische Belange erklärt. Nein, das passt nicht zusammen. Ja, das muss als Widerspruch klassifiziert werden.

Wundert sich niemand?

Die EU hat kürzlich mit den Mercosur-Staaten ein Freihandelsabkommen abgeschlossen, das der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks einen strahlenden Wohlstand bescheren soll. Die Vereinbarung muss noch von sämtlichen EU-Staaten ratifiziert werden, aber schon heute kann man sich fragen, wo sie hinführen soll. Zum Beispiel gibt der Vertrag wie es aussieht dem brasilianischen Präsident Bolsonaro eine Handhabe zu einer verantwortungslosen Umweltpolitik im Amazonas.

Nicht genug damit. Einen vergleichbaren Vertrag wie mit Mercosur hat die EU auch mit Kanada ausgehandelt (CETA). Der frühere französische Umweltminister Nicolas Hulot hat in einem Appell das französische Parlament aufgerufen, das Abkommen nicht zu ratifizieren, aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt weil kanadische landwirtschaftliche Exportprodukte zu viele toxische Stoffe enthalten, die in der EU verboten sind. Es hat nichts genützt. Die unbeeindruckte Macron-Phalanx in der Assemblée nationale hat dem Vertrag vor einigen Tagen bestätigt, andere EU-Staaten haben es längst getan – und das alte Denken geht repetitiv weiter.

Paradoxie ist eine ironische Operation des Geistes und Einsicht in die ewigen Verstrickungen des Daseins, vielleicht verfolgt sie auch eine Absicht wie ein zen-buddhistisches Koan ("He, he! Aufwachen!"). Doch die hier ins Spiel gebrachten Beispiele sind keine Paradoxien. Was aber dann? Nun ja: mal ein Fall von Opportunismus, mal von Flatterhaftigkeit. Man sagt heute dies und morgen das, etwas Anderes, Drittes, Sachfremdes, egal was, einfach so. Ohne Verwunderung hervorzurufen. Sehr merkwürdig.

 

6. August 2019